Da ist er wieder. Dieser Geruch von Revolution im Internet. Nein, damit meine ich nicht etwa das Web 3.0 oder irgend eine andere neue Technologie. Hier ist etwas viel Weitreichenderes im Gange. Eine Rebellion im "Web 2.0". Jenem "Mitmach-Internet" welches hier bei uns in Deutschland noch gar nicht so richtig Fuß fassen konnte. Doch fangen wir ganz am Anfang an.
Jeder dem das "Web 2.0" ein Begriff ist, sollte auch einen seiner bekanntesten und einflussreichsten Vertreter kennen. Damit meine ich Digg.com, eine Seite auf der deren Mitglieder beliebige Links zu anderen Seiten mit möglicherweise für andere Nutzer interessanten Inhalten veröffentlichen können. Der "Mitmach-Faktor" dabei ist, dass nun alle anderen Mitglieder selbst bewerten können, ob ihnen die verlinkten Seiten gefallen. Dies geschieht indem sie der verlinkten Seite ein "Digg" geben, also eine Art "Daumen hoch". Je mehr Diggs nun solch ein Link bekommt, um so weiter oben in der Liste erscheint dieser. Die beliebtesten erscheinen schließlich auf der Startseite von Digg.com. Links die es bis dorthin schaffen ziehen eine riesige Menge an Aufmerksamkeit auf sich. Und mit Riesig meine ich so viel, dass die verlinkten Seiten häufig unter der Last des Besucheransturms in die Knie gehen, weil deren Server überlastet werden.
Digg.com hat also einen sehr großen Einfluss auf das Web und ist ein Paradebeispiel für "Web 2.0" Seiten, deren Inhalte durch eine große Nutzerbasis erschaffen und bestimmt werden. Aber gerade diese Demokratie kann jetzt möglicherweise den Niedergang von Digg.com bedeuten.
Was ist geschehen? Nun, alles fing damit an, dass ein Blogger aus Ecuador einen aus 32 Zeichenpaaren bestehenden Code zum Knacken des Kopierschutzes von HD-DVDs und Blu-Ray-Discs in seinem Blog veröffentlichte. Einen Code, welchen die Filmindustrie schon seit Wochen mit Unterlassungserklärungen versucht aus dem Web zu klagen. Überzeugt von seiner Geschichte setzte er den Link zu seiner Seite auch bei Digg.com rein. Es dauerte nicht lange und die Geschichte erhielt die ersten "Diggs". Mit der Zeit wurden es immer mehr und die Seite stand schließlich auf der Startseite von Digg. Doch plötzlich wurde die Geschichte von Digg.com gelöscht und der Account des Bloggers gesperrt. Die Macher von Digg waren sich der Copyright Problematik bewusst, schließlich war vorher auch schon Google von den Anwälten der Filmindustrie abgemahnt worden und musste alle Referenzen auf den Code löschen.
Hier hätte unsere kleine Geschichte nun vorbei sein können, aber an dieser Stelle fingen nun die Nutzer von Digg.com an zu rebellieren. Sie waren ganz und gar nicht damit einverstanden, dass die Geschichte einfach gelöscht wurde. Zumal dies auch den immer wieder gepredigten Grundsatz von Digg.com widersprach. "Digg ist digitale Medien-Demokratie." Und da reagieren die Nutzer schon mal sehr empfindlich, wenn auf einmal Inhalte zensiert bzw. ganz gelöscht werden. Also machten sich einige Digg-Mitglieder nun daran, neue Stories über den HD-DVD Code in Digg einzustellen, und die Digg-Moderatoren versuchten nach und nach alle diese neuen Stories ebenfalls wieder zu löschen. Außerdem wurden immer mehr dieser Mitglieder gesperrt. Doch das hielt sie nicht davon ab immer wieder neue Stories einzustellen. Dabei bewiesen viele hohen Einfallsreichtum in der Betitelung dieser Geschichten. Andere bauten den Code in Grafiken ein oder sogar in Videos auf Youtube.com. Dies ging dann soweit, dass die Startseite von Digg nur noch mit Stories über dieses eine Thema gefüllt war.
An diesem Punkt gaben die Macher von Digg schließlich auf. Kevin Rose, der Erfinder von Digg, meldete sich im Blog: "Jetzt, nach Hunderten von Geschichten und Tausenden von Kommentaren, habt ihr es klar gemacht: Ihr wollt Digg lieber kämpfend untergehen als vor einer größeren Firma einknicken sehen." Und kommt zu dem Schluss: "Wir werden ab sofort Geschichten und Kommentare mit dem Code nicht mehr löschen und uns mit allen möglichen Konsequenzen auseinandersetzen."
Damit liegt die Zukunft von Digg nicht mehr bei Rose, sondern bei den Nutzern selbst. Sollte Digg im Rechtsstreit mit der Filmindustrie unterliegen, könnte dies möglicherweise auch das Ende von Digg selbst bedeuten. So sagt es auch Rose in seinem Blog: "Wenn wir verlieren - was soll's - dann sterben wir wenigstens kämpfend." Richtig. Doch wichtiger noch scheint, dass der Kampf nicht mit den eigenen Mitgliedern, sondern mit der Filmindustrie ausgefochten wird. Denn den Kampf mit den Mitgliedern kann man vielleicht gewinnen, aber höchstwahrscheinlich mit der Konsequenz, dass viele der Mitglieder dann Digg den Rücken zukehren würden. Und dies sollte nicht im Interesse von Rose sein.
Ich kann mir vorstellen, dass nun viele andere Betreiber von "Web 2.0" Seiten das weitere Geschehen sehr genau beobachten werden. Denn jede Seite mit einer solch großen Nutzerbasis und mit von Nutzern generierten Inhalten kann sehr schnell vor dem gleichen Problem stehen. Aber eine Lehre sollte schon jetzt jeder daraus ziehen - bekämpfe nicht deine eigenen Nutzer!